LG Darmstadt zur fiktiven Abrechnung bei KFZ-Schäden - Antwort des OLG Frankfurt
Zur Auslegung des Einzelraser-Tatbestandes des § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB
Die Ergänzung der Strafbarkeit für Einzelraser durch den 2017 in Kraft getretenen Straftatbestand des § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB wirft einige Fragen auf. Mit Beschluss vom 09.02.2022 teilte das BVerfG jedoch mit, dass § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB mit dem Grundgesetz vereinbar ist (Az. 2 BvL 1/20). Eine Konkretisierung des Tatbestandes erfolgte durch den BGH mit Beschluss vom 17.2.2021 – 4 StR 225/20. Die objektive Tathandlung ist demnach das Sich-Fortbewegen mit nicht angepasster Geschwindigkeit. Ausgehend von der Wortbedeutung meint unangepasste Geschwindigkeit jede der konkreten Verkehrssituation nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht mehr entsprechende Geschwindigkeit. Die Erwägungen des § 3 Abs. 1 StVO können dabei als Orientierungsmaßstab dienen, sodass nur so schnell gefahren werden darf, wie das Fahrzeug ständig beherrscht wird und innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann. Der Tatbestand des § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt allerdings weiterhin ein grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten des Täters voraus.
Erforderlich ist daher, dass sich gerade die Fortbewegung des Täters mit nicht angepasster Geschwindigkeit als grob verkehrswidrig und rücksichtslos darstellt. Die grobe Verkehrswidrigkeit kann sich dabei allein aus der Massivität des Geschwindigkeitsverstoßes oder aus begleitenden anderweitigen Verkehrsverstößen ergeben, die in einem Zusammenhang mit der nicht angepassten Geschwindigkeit stehen. Das Vorgenannte muss in subjektiver Hinsicht von der Absicht des vermeintlichen Täters getragen werden, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Diesem Absichtselement kommt die Aufgabe zu, das nach § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbare Verhalten von alltäglichen, auch erheblichen Geschwindigkeitsverletzungen abzugrenzen. Diese Absicht muss darauf gerichtet sein, die nach den Vorstellungen des Täters unter den konkreten situativen Gegebenheiten – wie Motorisierung, Verkehrslage, Streckenverlauf, Witterungs- und Sichtverhältnisse etc. – maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen.
Selbsterstrittene Urteile
OLG Frankfurt am Main zur Geschwindigkeitsmessung mit dem Messgerät vom Typ Leivtec XV3
Das OLG Frankfurt am Main entschied mit Beschluss vom 12. November 2021 (AZ: 2 Ss-OWi 159/21), dass es dem Messgerät Leivtec XV3 an der hinreichenden Zuverlässigkeit fehlt. In Anbetracht immer wieder auftretender Messungenauigkeiten kann aufgrund aktueller messtechnischer Erkenntnisse nicht mehr vom Vorliegen eines standardisierten Messverfahrens ausgegangen werden. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt hat bei einer Überprüfung der Messwerte des Leivtec XV3 insbesondere bei Rechtsmessungen unzulässige Messwertabweichungen festgestellt, sodass es an den Voraussetzungen für ein standardisiertes Messverfahren fehlt.
Zuvor ist der Mandant am AG Gießen (AZ: 512 OWi - 902 Js 37290/19) wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 320,00 EUR verurteilt und ihm für die Dauer von einem Monat untersagt worden, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen. Das Amtsgericht stützte sich dabei auf eine Messung mit dem Messgerät Leivtec XV3 und führte aus, dass es sich dabei um ein anerkanntes Messverfahren handele. Die Rechtsbeschwerde von Rechtsanwalt Cetin hatte mit vorgenannter Begründung jedoch Erfolg, sodass das Urteil des AG Gießen aufgehoben und an dieses zurückverwiesen wurde.
Anspruch auf Ersatz der Sachverständigenkosten besteht auch bei unbrauchbarem Gutachten
In Anlehnung an das Urteil des OLG Hamm (AZ: 6 U 77/95) entschied auch das Amtsgericht Gießen (AZ: 44 C 214/20), dass dem Unfallgeschädigten die Kosten eines unbrauchbaren Gutachtens zu erstatten sind, wenn ihm kein Auswahlverschulden zur Last fällt und er die Unbrauchbarkeit des Gutachtens auch nicht durch Falschangaben mitverursacht hat. Dass von dem ausgewählten Sachverständigen ein sachgerechtes Gutachten nicht zu erwarten war und der Kläger dies hätte erkennen können, den Kläger also ein Auswahlverschulden trifft, muss von den Beklagten dargelegt werden und für das Gericht ersichtlich sein. Überdies müssen die Beklagten vortragen, welche konkreten Vorschäden der Kläger verschwiegen haben soll. Dies ist im vom AG Gießen entschiedenen Fall nicht erfolgt.
Ob das eingeholte Sachverständigengutachten tatsächlich fehlerhaft ist, kann folglich dahinstehen. Dafür muss der Kläger nicht nach § 254 Abs. 2 BGB einstehen, da der Schadensgutachter nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten ist. Soweit der Kläger im Übrigen die Sachverständigenkosten billigerweise für erforderlich halten durfte, sind diese zu ersetzen. Als erforderlich sind nach der ständigen Rechtsprechung des BGH diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde. Dabei ist Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen.
UPE-Aufschläge und Verbringungskosten sind auch im Rahmen einer fiktiven Schadensabrechnung zu erstatten
Der Unfallgeschädigte hat auch im Rahmen fiktiver Schadensabrechnung einen Anspruch auf Erstattung von Verbringungskosten und des UPE-Zuschlags auf Ersatzteile, die im hiesigen Landgerichtsbezirk üblicherweise erhoben werden. Sofern das Fahrzeug des Unfallgeschädigten nicht älter als drei Jahre oder stets in einer markengebunden Werkstatt gewartet oder repariert wurde, muss dieser den Verweis auf eine freie Werkstatt nicht hinnehmen, sodass er auch die Erstattung von UPE-Aufschlägen verlangen kann. Der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB umfasst bei konsequenter Sichtweise nicht nur die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt.
Er erfasst vielmehr auch die UPE-Aufschläge und Verbringungskosten in eine Lackiererei, wenn und soweit diese regional üblich sind. Entsprechendes gilt für Fahrzeugverbringungskosten. Soweit ein öffentlich bestellter und vereidigter Kfz-Sachverständiger in seinem Gutachten ausführt, dass in der Region bei einer entsprechenden Markenwerkstatt im Falle einer Reparatur typischerweise UPE-Aufschläge erhoben werden, ist die Ersatzfähigkeit dieser Aufschläge gegeben. Der Kläger hatte, vertreten durch Rechtsanwalt Cetin, mit seiner Berufung Erfolg, sodass das erstinstanzliche Urteil des AG Wetzlar durch das LG Limburg a.d. Lahn mit Urteil vom 10.09.2021 (Az. 3 S 48/21) entsprechend abgeändert wurde.